Tag 2: Erkenntnis

Veröffentlicht am 14. Mai 2025 um 18:11

Der Tag begann nicht einfach – er griff mitten in die Nacht hinein. Um drei Uhr wurde ich geweckt. Es stand das Legen eines zentralen Venenkatheters an – kein kleiner Eingriff, also ging es in den OP.

Durch das nächtlich stille Spital fuhr mich Samira, eine Pflegerin aus Ghana. Ihr Lächeln war freundlich, ihr Ton ruhig, fast fürsorglich. Im dämmrigen Licht der Flure wirkte alles entrückt, fast traumartig – und doch sehr real.

Im OP-Raum erwartete mich ein kleines, eingespieltes Team. Die Anästhesistin trug den Namen Sedlacek – ein Name wie aus einem Roman von Thomas Bernhard, typisch österreichisch, ihre Stimme sachlich und bestimmt. Die OP-Schwester stellte sich als Radka vor, Serbin, mit klarem Blick und geübten Händen.

Nur der Oberarzt trug einen Namen, der in hiesigen Telefonbüchern keine Fragen aufwirft: Bättig. Schweizer. Aber er war der einzige im Raum, der nicht aus einem anderen Land kam.

Nach dem Eingriff fuhr mich Radovan – ebenfalls aus Serbien – zurück ins Zimmer. Und als der Tag langsam erwachte, brachte mir Frau Santos aus Portugal das Frühstück.

Ein Querschnitt könnte man sagen, durch ein Schweizer Universitätsspital im Jahr 2025. Und dabei wird deutlich: Ohne Menschen aus Ghana, Serbien, Portugal, Österreich – ohne all diese Stimmen, Hände, Gesichter – gäbe es hier weder Versorgung noch Fürsorge.

Wir sprechen oft von „unserem“ Gesundheitswesen. Aber in Wahrheit ist es ein internationales Wunderwerk, das auf Empathie, Einsatz und Herkunftsvielfalt beruht.

Heute wurde mir das bewusst, unter OP-Licht. Und beim ersten Kaffee des Tages.