
Was geschieht mit den Gedanken, wenn Medikamente die Kontrolle übernehmen – und Träume plötzlich lauter sprechen als die Realität?
Heute ist Tag sechs. Die Chemotherapie wird hochgefahren. Ich spüre das. Nicht durch starke Schmerzen oder extreme Reaktionen – eher wie ein feines Kippen der inneren Balance. Etwas verschiebt sich.
Die Nebenwirkungen sind da, aber erträglich. Ich werde eng begleitet, medizinisch gut betreut. Das gibt mir Halt. Und trotzdem: Die Medikamente arbeiten nicht nur im Körper. Sie greifen auch in meine Gedankenwelt ein.
Es fühlt sich an, als läge ein Schleier über allem. Meine Gedanken, sonst klar und strukturiert, treiben jetzt wie Nebelschwaden. Ich versuche, sie zu fassen – manchmal gelingt es, manchmal entgleiten sie mir. Die Kreativität zieht sich zurück, macht Pause. Schreiben wird zäh, Sprache träge.
Was mich besonders beschäftigt: die Träume. Sie kommen intensiv, wirr, lebendig. Bilder und Geschichten, die keinen Sinn ergeben, aber etwas in mir berühren. Es ist seltsam, die Kontrolle über den eigenen Kopf zu verlieren. Ich bin jemand, der Ordnung liebt im Denken – jetzt lasse ich mich plötzlich treiben, mitten hinein in diese surrealen Bilderwelten.
Und doch muss ich zugeben: Manche Träume faszinieren mich. Sie öffnen Türen, die ich tagsüber nie durchschreiten würde. Fast wie Reisen an Orte in mir, die ich vorher nicht kannte. Ich widerstehe nicht mehr – ich beobachte. Neugierig, manchmal auch berührt.
Diese Erfahrung verändert mich. Ich werde langsamer. Leiser. Vielleicht ein wenig durchlässiger. Und ja, auch das Schreiben verändert sich. Nicht alles fließt wie gewohnt. Aber vielleicht zeigt sich darin gerade etwas Echtes.
Verzeiht, wenn dieser Text ein wenig ausfranst. Vielleicht ist er nicht perfekt – aber genau so fühlt sich mein Kopf gerade an. Und genau das will ich teilen.
Denn wie Haruki Murakami sagt:
„In den Träumen beginnen die Dinge, die wir uns im Wachsein nicht zu denken trauen.“
Und manchmal fliegt da auch ein Lied durch den Kopf – still, schwer und schön:
Ludwig Hirsch – Komm großer schwarzer Vogel
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Kommentare
Lieber Bernhard
Wir schliessen uns den vorangegangenen Kommentaren gerne an! Mit viel Hochachtung lesen wir jeweils deinen Blog! Intressant, berührend, aufschlussreich…Danke, dass wir dir auf diesem schwierigen Heilungsweg folgen dürfen! Hoffnung, Dankbarkeit und Demut sind spürbar.
Unsere Gedanken sind bei dir!
Wir umarmen dich! 🥰🫶🏻 Ruth und René